In der Tradition zu Malerei und Theater bewegt sich reflektierend suchend die Fotokunst von mir, Stephan Joachim. Das Spannende bleibt dabei die Suche nach den geeigneten Mitteln, ohne die Fotografie aus den Augen zu verlieren, aber dennoch die altüberlieferten Techniken bewundernd zu rekonstruieren versuchend und dabei ausweichende und mögliche Ersatztechniken verwendend. Es bleibt ein Weg, kein Ziel. Denn mit dem Ziel wäre ein Ende der Entwicklung und der kreativen Sprachlichkeit erreicht, das ein Erstarren in der Kunst, eine Unbedeutendheit des Künstlers zur Folge hätte.
Wenn ich meinen Stil beschreiben soll – sollte ich mich lösen von Worten, auflösen in Bildern, Gerüchen, Erinnerungen – Zeitlosigkeit.
Ich höre Musik, das Vorspiel von Parsifal, den zweiten Satz von Bruckners Achter, Max Richters Filmbegleitungen, das Regnen des Wassers auf die Erde, das Wehen herbstlicher Winde.
Dann sehe ich den Menschen oder die Idee eines Bildes und der Drang, ihn oder sie in die ihm oder ihr zupassenden Elemente einzubetten, entsteht und ich beginne im Kopf eine Bühne für diesen einen Menschen, für diese Idee zu entwerfen, zu bauen, mit Licht zu beleben, und ich probe in Gedanken ein für ihn oder sie geschriebenes Stück, und ich probe es in der Freiheit des eigenen fantastischen Sinnens.
(Und dann, wenn ich ihm begegne, dem Menschen, und das sind sie: Menschen, und das hat eine tiefe Bedeutung, dann hoffe ich, dass ein Universum das fertige Werk wiederholt und ich beobachte nur noch, verwundert, dass der Mensch die Proben vergessen hat, deren Teil er doch nicht war. Und ich beobachte und versuche das Gewirr an Skizzen und übriggebliebenen Aufführungsideen ihm zu erklären, versuche, ihn zu sehen, versuche zu kontrollieren, ob ich ihn sehe, ob meine Inszenierung die Richtige war, sie in sich schlüssig war und ist und bleibt.
Wenn alles dies glückte, dann erhebt es den Menschen über sich und er lächelt innen, ganz leise, und sieht sich ohne Furcht.)
Und ich beobachte
Das Theater als Spiegel der Welt ist der Raum für die Dinge, die ich fotografiere. Für mich ist die Bühne ein gerahmter Ort, in dem die schönsten und schrecklichsten Geschichten bewegt und unbewegt erzählt werden können. Meist bewegt.
Mein ganzes Leben habe ich versucht, die Gesetzmäßigkeiten dieses Ortes zu begreifen, mich mit ihnen auseinanderzusetzen, sie zu lernen und anzuwenden. Ich bin Sänger geworden, Regisseur und Ausstatter und ich verstehe mein Leben durch die Kunst, die in einem Rahmen dieses Leben zu spiegeln vermag.
Insofern bediene ich mich wo es mir immer möglich ist der Mittel des Theaters, der Bühne (als Aufführungsort verstanden), der Darstellung. Ich schaffe einen Raum für meine Bilder, oder ich suche einen Raum, der dem entworfenen gleicht, oder ich finde einen Raum, der mein Bild in sich trägt (Raum als Ort des Bildes).
Ich versuche meine Bilder inhaltlich vorher zu fassen, damit ich sie nicht nachher erschaffen muss. Ich bin wie auf der Bühne der Mensch der Planung und Probe und Beobachtung; Improvisation gehört dazu, aber als Mittel der Rettung.
Ich sehe Geschichten in den festgehaltenen Nus, die sich im Regelfall ohne spezifische Technik erzählen lassen. Und dennoch ist es ein Wechselspiel aus Probenmomenten und fertigen Inszenierungen.
Ich beobachte eine Manifestierung: Die Hervorhebung der unsichtbaren Grenze im Theater zwischen Zuschauer und Darsteller. Ich liebte diese Grenze stets, die nur von den theatertypischen Gerüchen des sich öffnenden Vorhangs übertreten ward: Den Gerüchen der Schminke, der verbrennenden Filter, der staublastigen Soffitten und der schweißdurchjahrten Kostüme.
In meinen Bildern baue ich diese Grenze mit unsichtbar, sichtbaren Hilfen: Den Unschärfen, den Zwischenmaterialien Spiegel, Glas, Filter, Gaze und und transparenten Stoffen. Und öfter, mit wachsender Sehnsucht nach der Theaterwelt, entwerfe ich wieder eine Korrektur mit Farben, Lacken, Schichten aus analogen Materialien (wie Schellack) oder der echtzeitsituationgeschuldeten Aufführungsveränderung durch Filme (besonders Sofortbildfilme).
Nicht greifbar bleibt die Renitenz gegen alles, was einem aufgedrückt werden soll, wie ich zu fotografieren, zu inszenieren habe.
Ich weiß noch immer: Theater braucht das Publikum und sollte es niemals ignorieren; aber das Publikum braucht auch Theater, um zu funktionieren.
Bilder sind zwar existent ohne Publikum, aber relativ sinnlos. Kunst ist zwar existent ohne Publikum, aber wie sinnvoll dann?
Es bleibt eine Grenzwanderung, immer eine Erneuerung, eine Neugier besonders, und eine Liebe zur Tat und zum Darzustellenden.
(Theater kann für mich nicht nur bedeuten das, was auf der Bühne stattfindet oder das, was ich für die Bühne ausstatte.
Die Durchmischung in der Arbeit findet für mich nicht nur in den bestehenden Arbeitsweisen der Sparten statt, dass also alle mit Regie oder Choreografie arbeiten und so im vornherein das fertige Werk schaffen und nicht oder wenig nachträglich verändern, es ist auch die thematische Durchdringung: So ist wohl die Fotografie nicht mehr als eine pausierte Theatervorstellung mit dem Vorteil, einen genauen Blick auf ihre Aussagen und die der jeweiligen Künstler oder des jeweiligen Künstlers zu werfen.
Als aus medizinisch-theologischen Haushalt stammend habe ich immer den Vergleich zwischen Religion und Theater ziehen können und wurde immer gern vor die Aussage gestellt, dass Kirche im Grunde auch Theater sei. Anders herum lernte ich immer, dass Theater die religiösen Bedürfnisse einer Gruppe Menschen zu erfüllen in der Lage ist, es mit seinen Ritualen ähnlich agiert und sowieso, wo die Kirche das Leben erleichtern soll, das Leben erklärt, kommentiert und also auf seine Weise unbedingt auch zur Erleichterung beiträgt. Vielleicht ein wenig mehr auf dem Weg einer Katharsis, wo Kirche mehr stumpf macht. Aber damit hängt die Bilderkunst zwischen beiden: Das sie in ihrer Katharsis kontemplativ macht.)
In meiner Bildsprache suche in nun, als zeitliches nun, die Themen durch Fotografie theatralisch real abzubilden, dann mit Mitteln der Malerei, die auch die Mittel des Bühnenbild-und Kostümentwurfs sind, ästhetisch zu erläutern. Meine Erfahrung als Regisseur hilft, die inneren Haltungen der Darsteller nach außen zu kehren und in einem für das Werk notwendigen Maß zu steuern.
Eine weitere Ebene ist der ständige Wunsch dadurch, durch die malerische Bearbeitung, eine unikatäre Werksituation zu konstituieren, die der Einmaligkeit einer Theateraufführung ähnelt, die ja auch zwar vorbestimmt, aber in Durchführung stets unberechenbar bleibt.
Und schließlich wird damit die Berufung auf Tradition der künstlerischen Arbeit praktiziert, indem ich immer den Versuch in mir trage, den direkten Kontakt zum Schaffensprozess zu ersehnen. Analog zu arbeiten, wann immer es möglich wird. Aber auch die Analogtätigkeit wie eine theatralische Zeitenwiderspiegelung zu simulieren, zu spielen, in der allein bestimmte Tätigkeiten denen alter Produktionstechniken ähneln. Da eben nicht nur die Malerei, auch beispielsweise die Nachahmung alter Entwicklungsvorgänge wie das Schwenken der Glasplatten unter Wasser oder das Verteilen der Chemikalien durch fließende Bewegung (Choreografie) auf der Glasoberfläche, die Erstarrung dessen zeigt sich als harzene anschließende Schicht aus Schellack; auch ein Signum für die tradierte Musikwiedergabe durch Schallplatten.
Im Hinblick darauf, dass bildende Kunst abgrenzend zur darstellenden Kunst definiert wird, wobei ein tragendes Definitionsmerkmal der zeitliche Verlaufsunterschied zu sein scheint, widerspreche ich hier ganz eindringlich. Es ist durchaus nicht möglich ein Kunstwerk der bildenden Künste, wie eine Malerei, eine Fotografie oder ähnliches, in Dialog mit einem Betrachter zu bringen, ohne dass der Zeitverlauf eine darstellende Kunstsituation evaluiert. Die Regungen im Betrachter, der ebenso als Zuschauer fungieren muss, lassen sich wohl kaum als stationär beschreiben. Und schon weil das Werk hoffentlich eine Reaktion, besser noch eine Reflexion nicht nur bewirken soll, sondern in jeglicher Form auch bewirken muss, tritt eine der Begriffserklärung der darstellenden Künste immanente Situation zwangsläufig ein.
In diesem Sinne zielt meine Arbeit auch auf Verdeutlichung dieses Sachverhaltes.
Nicht nur dass, wie oben bedeutet, Theater und seine Formen ja auch immer der bildenden Künste zur Umsetzung bedarf, also eben auch umgekehrt bildende Künste bergen immer den Aspekt der Darstellung in Art der darstellenden Künste.
(Ich unterscheide bei meiner Fotografie nicht nach den schubladengefachten Bereichen. Die Frage „Können Sie auch…? Ich dachte, Sie machen nur Kunst!“ strengt auf Dauer sehr an und spiegelt das immer verkümmertere Bewusstsein für geisteskünstlerische Leistungen.)
Ich möchte explizit nochmal darauf hinweisen und mich beklagen: Wenn ein Mensch, ein Betrachter meiner Bilder, oder auch ein Betrachter jedwelcher Bilder, versucht, diese in eine Sparte einzuordnen, dann spricht daraus doch zuallererst der Wunsch, eine Sicherheit in der eigenen Meinung zu erlangen. Kategoriendenken vereinfacht die Verhaltensmuster.
(Wenn ein Bild zur Portraitfotografie gehört und ein Kopf eines Menschen dominant zu erkennen ist, seine Persönlichkeit sogar darstellbar gewesen zu sein scheint, dann ist es ein Portrait. Wenn ein Portrait diesen gesetzten Rahmen verlässt, dann versucht man es sofort in ein anderes Schema einzuordnen, in die Peoplefotografie, die Modefotografie, sollte der Mensch auf dem Bild nackt sein, gar in die Aktfotografie. Auch der Darstellungsstil wird in die für eine Kategorie allgemein vereinnahmten Kriterien eingeordnet: Analoge Fotografie gilt unterdessen oft als künstlerischer, schwierig in die Modefotografie einzuordnen; wenn, dann deswegen, weil ein prominenter Modeschöpfer oder Fotograf, seine Handschrift hinterlässt; da dann wieder akzeptiert. Das Motto „Die Ausnahme bestätigt die Regel“ scheint auch hier Gültigkeit zu beweisen.
Das Durchmischen aller Kategorien, aller Techniken, aller persönlichen Stilistiken wird abwertend betrachtet und führt zum Ausschluss aus dem angenommenen „Inner Circle“.
Da hingegen empfange ich aber durchaus bei allen Angeklagten den Rat: Bleib Du selbst. Bleib bei Deinem Stil.
Ja, wer auch sonst? Wo auch sonst?
Unser zivilisiertes hochgezüchtetes Gehirn scheint wohl so gar nicht mehr in der Lage sein zu wollen, interstrukturell und interexistenziell denken zu können.
Wie ich es oben bereits erläuterte, fängt für mich die künstlerische und damit denkleistungsabhängige Arbeit dort an, wo ich in der Lage bin, mich aus meinen gewohnten Sicherheiten zu befreien und Seinszustände zu verquicken, die unverquickbar erscheinen.)